Im Gespräch mit: Arie van Lent

Vor Ahlens Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach II sprach ich mit Gladbach-Ikone Arie van Lent über die Höhen und Tiefen seiner Spielerkarriere, seine Vergangenheit bei Rot Weiss Ahlen und seine aktuelle Arbeit als Nachfolger von André Schubert.

Herr van Lent, erinnern Sie sich noch an den 9. Mai 1997?

An den 9. Mai 1997?

Genau.

Habe ich da etwas verpasst? Spontan fällt mir zu diesem Tag nichts ein. Da müssen Sie mir auf die Sprünge helfen.

© Werder Bremen
© Werder Bremen

Es war ein historischer Tag für Sie. Nach einem Eigentor gegen den 1.FC Köln führten Sie Werder Bremen mit drei Treffern noch zum 3:2-Sieg. Bis heute ist das in der Bundesliga keinem anderen Spieler gelungen.

So schnell vergisst man also das Datum von solchen Tagen. Es war ein ganz kurioses Spiel, in dem unheimlich viel passiert ist. Erst traf ich ins eigene Tor und dann kam noch eine weitere kuriose Geschichte dazu. Normalerweise war Viktor Skripnik der erste Elfmeterschütze im Team. Doch als wir in der 30. Minute beim Stand von 1:1 einen Elfmeter bekamen, war er nicht mehr auf dem Feld. Da ich damals hauptsächlich bei den Amateuren gespielt habe und dort immer die Elfmeter geschossen habe, musste ich das auch in diesem Spiel übernehmen. (Anm. d. Red.: Van Lent verwandelte erfolgreich.) Manchmal gibt es im Fußball Geschichten, die man sich selbst nicht einmal im Nachhinein erklären kann.

Sie sprachen es gerade schon an. In der ersten Mannschaft von Werder kamen Sie nur selten zum Einsatz. Glänzen konnten Sie aber vor allem in der Zweitvertretung, wo Sie in 166 Pflichtspielen insgesamt 101 Mal trafen. Was waren die Gründe, warum es für den Durchbruch in der ersten Mannschaft nicht gereicht hat?

Ich hatte damals Bandscheibenprobleme und wurde zweimal operiert. Das hat sich insgesamt über zwei Jahre hingezogen. Für mich war es ein Erfolg, dass ich nach zweieinhalb Jahren bei den Amateuren dann überhaupt noch einmal bei den Profis dazwischen kam. Stammspieler wurde ich erst unter dem damaligen Trainer „Dixie“ Dörner. Aber er hatte in dem Moment nicht das nötige Trainer-Glück. Nachdem „Dixie“ Dörner den Verein verließ, kam auch ich bei den Profis nicht mehr zum Zug.

1998 verließen Sie Werder Bremen und wechselten zur Spielvereinigung Greuther Fürth in die zweite Bundesliga. Wie schwer fiel Ihnen der Schritt, in der zweiten Bundesliga einen neuen Anlauf zu wagen?

Das fiel mir damals nicht schwer. Ich musste wechseln, um überhaupt noch einmal in der Bundesliga zu spielen. Auch wenn es in diesem Fall die zweite Bundesliga war. Das eine Jahr in Fürth lief dann letztlich auch ganz gut.

© Borussia Mönchengladbach
© Borussia Mönchengladbach

In der zweiten Liga blühten Sie auf. Ein Wechsel zum damaligen Bundesliga-Absteiger Borussia Mönchengladbach folgte. Gladbach sollte für Sie die Station mit den meisten Einsätzen im Profibereich werden. In 158 Spielen trafen Sie 62 Mal. Sie wurden zum Publikumsliebling. Was verbinden Sie mit der aktiven Zeit bei der Borussia?

Ich ging auf die 30 zu und erlebte in Gladbach meine beste Zeit. Ein Traum ging für mich in Erfüllung. Nach meinem Verletzungspech hatte ich damit nicht mehr gerechnet.

Was waren die Beweggründe dafür, dass Sie Gladbach 2004 im Alter von 33 Jahren verlassen haben?

Ich habe mir damals eingebildet, dass ich noch ein paar Jahre spielen könnte . Dementsprechend hatte ich mir eine Vertragsverlängerung von zwei Jahren gewünscht. Mir wurde allerdings nur ein Jahr angeboten. So entschied ich mich noch einmal für etwas Neues und ging zu Eintracht Frankfurt. In Frankfurt habe ich noch eine gute Zeit erlebt. Ich habe viele Leute kennengelernt und sportlich lief es dort auch einigermaßen. Im Nachhinein war es keine schlechte Entscheidung, nach Frankfurt zu gehen.

Doch bevor Sie Gladbach in Richtung Frankfurt verließen, schrieben Sie erneut Geschichte. Sie verabschiedeten sich im letzten Heimspiel gegen 1860 München mit einem Tor von den Gladbacher Fans. Es war kein normaler Treffer: Es war das letzte Gladbacher Tor im alt ehrwürdigen Bökelberg-Stadion. Dieser Abschied muss doch von Ihnen geplant worden sein…

Das Schicksal meinte es damals wohl gut mit mir, dass ich zu dem Zeitpunkt überhaupt noch auf dem Platz stand. Eigentlich sollte ich ausgewechselt werden. Wenn man dann noch das 3:1 macht, dann kriegt man selbst auch mal Gänsehaut. Es war ein schöner Moment. Erstaunlicherweise werde ich heute auch noch oft auf das Tor angesprochen. Für viele Fans war dieser letzte Treffer im Bökelberg-Stadion sehr wichtig.

Ende 2006 beendeten Sie Ihre Karriere bei Rot Weiss Essen. Ein halbes Jahr später wurden Sie Trainer vom damaligen Oberligisten FC Kleve. Direkt im ersten Jahr gelang Ihnen der Aufstieg in die Regionalliga West. Die Entlassung folgte eine Saison später, kurioserweise während eines Ligaspiels. Stimmt diese Geschichte, die im Internet kursiert?

Da ist damals eine Geschichte entstanden, die so nicht stimmt. Möglicherweise wurde die Entscheidung der Kündigung während des Spiels auf der Tribüne getroffen. Mir persönlich wurde aber ganz normal nach dem Spiel Bescheid gesagt, dass es so nicht mehr weitergeht. Wenn viele Menschen etwas erzählen, dann kommt am Ende so etwas dabei heraus. Leider hatte der FC Kleve sehr große Ziele, die wir alle nicht verwirklichen konnten. Aus diesem Grund hat es am Ende nicht mehr gereicht.

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Das damalige Team um v.l. Janis Kraus, Christian Knappmann, Christian Alder, Sebastian Hille, André Maczkowiak und Nils-Ole Book

Im Juli 2010 kamen Sie schließlich zu Rot Weiss Ahlen, Ihrem heutigen Gegner. In Ahlen übernahmen Sie erstmals ein Drittligateam. Trotz der Insolvenz schafften Sie mit ihrer Mannschaft sportlich den Klassenerhalt. Unvergessen bleibt der 4:3-Sieg am vorletzten Spieltag gegen den Aufstiegsaspiranten Erfurt. Wie haben Sie die Spieler damals bei der Stange gehalten?

Als ich nach dem Zweitliga-Abstieg nach Ahlen kam, hatten wir zunächst einmal gar keine Mannschaft. Ronald Maul, Daniel Thioune und ich (Anm. d. Red.: Maul war damals Sportlicher Leiter und Daniel Thioune war Co-Trainer) haben in kurzer Zeit ein Team mit wirklich guten Jungs zusammengestellt. Kurz danach kam dann das Gerücht, dass kein Geld mehr da sei. Das hat viele Spieler mitgenommen. Aber gemeinsam haben wir versucht, das Beste daraus zu machen. Wir wollten sportlich unbedingt die Klasse halten. Das haben wir geschafft, auch wenn es zum Ende hin immer schwieriger wurde. Für uns war dieser Klassenerhalt enorm wichtig. Aufgrund des Zwangsabstiegs ist er im Nachhinein etwas untergegangen.

Wie haben Sie die Zeit in der Insolvenz empfunden?

Der Insolvenzverwalter hat uns nicht viel gesagt. Er hat uns immer wieder beruhigt, dass der Spielbetrieb weitergehe. Es war aber immer alles sehr vage und für einen selbst sehr unangenehm. Keiner wusste, wo es hingeht. Es war nicht einfach. Aber im Nachhinein sind viele Spieler noch sehr gut untergekommen. Das war für alle Beteiligten sehr schön, obwohl es insgesamt ein sehr schwieriges Jahr war.

Was haben Sie denn aus dem einen Jahr bei Rot Weiss Ahlen mitnehmen können? Viel Geld sicherlich nicht …

Es war eine sehr intensive Zeit. Viele Spieler haben nicht sonderlich viel Geld in Ahlen verdient. Manche wussten nicht einmal, wie sie ihre Miete bezahlen sollten. Dass sie trotzdem jeden Tag beim Training erschienen sind und dort ihr Bestes gegeben haben – das war schon eine riesige Erfahrung für mich.

Seit September haben Sie den Job von André Schubert bei der zweiten Mannschaft der Gladbacher übernommen. Schubert wurde vom Gladbacher Regionalliga-Trainer zum Bundesliga-Trainer befördert. Schwebt Ihnen ein ähnlicher Werdegang vor? Wann sehen wir Sie auf der Trainerbank eines Bundesligisten?

So einen Werdegang kann man nicht planen. Ich habe mich weder als Spieler noch als Trainer bislang damit befasst, solche Dinge zu planen. Meinen aktuellen Job mache ich total gerne, ohne fünf bis sechs Schritte voraus zu denken. Wenn so etwas passiert, dann passiert es einfach. Ich werde auf jeden Fall fleißig sein und mein Bestes geben.

Vor dem Job bei der U23 trainierten Sie die Gladbacher U19. Wie unterscheidet sich die Arbeit?

Im Seniorenbereich geht alles schneller zu. Die Spieler sind noch fokussierter auf den Fußball und den Profi-Gedanken. In der U19 haben die Spieler noch Schule und andere Termine. Das ist in der U23 anders.

Ihre bisherige Bilanz bei Gladbach II lässt sich sehen. Sie sind mit fünf Siegen, zwei Unentschieden und einer Niederlage gestartet. Zuletzt siegte Ihr Team gegen den Tabellenführer aus Lotte. Was macht Ihre Mannschaft so stark?

Wir haben eine sehr junge Mannschaft mit vereinzelten älteren Spielern. Es ist ein homogenes Team mit unheimlich viel Qualität. Meine Spieler sind sehr spielstark. Damit haben wir gegenüber vielen anderen Mannschaften in dieser Liga einen Vorteil. Woran meine Spieler noch arbeiten müssen, ist ihre Abgezocktheit. Doch dafür ist die vierte Liga ideal.

Im neunten Spiel unter Ihrer Leitung geht es nach Ahlen. Wie beurteilen Sie die Ahlener Mannschaft in dieser Spielzeit?

Die letzten Siege gegen Verl und Köln kamen unerwartet. Sie zeigen aber, dass die aktuelle Mannschaft Charakter hat. Ich habe das Spiel gegen Viktoria Köln gesehen. Das hat Ahlen, vor allem aufgrund des Einsatzes, hochverdient gewonnen. Die Mannschaft ist unberechenbar. Wir müssen aufpassen und gut auf die Platzverhältnisse vorbereitet sein. Ahlen kommt mit dem eigenen Platz gut zurecht. Dass der nicht immer ganz einfach zu bespielen ist, weiß ich ja noch von früher.

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Rouven Meschede mit Ball und Vollbart

Aus Ihrer damaligen Zeit kennen Sie auch noch Maximilian Dahlhoff und Rouven Meschede.

Richtig. Beide kamen aus der A-Jugend in unseren Kader und waren sehr fleißig. Rouven Meschede hat zwar jetzt einen Vollbart bekommen, aber seine Spielweise ist immer noch die alte. Seine härtere Gangart tut der aktuellen Ahlener Mannschaft in der Regionalliga sicherlich gut. Auch Maximilian Dahlhoff hat damals seine ersten Drittligaspiele unter meiner Leitung gemacht. Er war technisch versiert und hatte ein unheimlich gutes Stellungsspiel und Talent. Es ist schön, die beiden Jungs jetzt in der Regionalliga mal wiederzusehen.

Wie fällt Ihre Prognose aus: Schafft Ahlen den Klassenerhalt?

Die Liga ist total ausgeglichen. Ich würde mich freuen, wenn Ahlen den Klassenerhalt schafft. Wenn sie an die letzten Spiele anknüpfen können, dann kriegen sie es hin. Es wäre schön, wenn Ahlen gegen uns dann heute einmal patzt. Sonst kann das Team aber gerne so weitermachen und die Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte alle schlagen. Das ist letztlich gut für uns.

Vergangenen Sommer wurde die Gladbacher Reserve Regionalligameister. In der Aufstiegsrelegation setzte sich allerdings die Zweitvertretung Werder Bremens durch. Warum wird Ihr Team in dieser Spielzeit den Aufstieg in die dritte Liga schaffen?

Das ist eine schwierige Frage. Für uns ist der Aufstieg in die dritte Liga nicht das oberste Ziel. Vielleicht ist das ein Vorteil gegenüber Mannschaften wie Lotte oder Viktoria Köln. Wir müssen nicht unbedingt aufsteigen. Für uns wäre der Aufstieg eine Zugabe. Wir werden versuchen, diese Rolle zu nutzen. Ob es für ganz oben reicht, weiß ich nicht. Wir werden aber auf jeden Fall mit dabei sein. Das ist sicher.

Michael Bieckmann Verfasst von

– selbständiger Fotograf mit einer Liebe zum Schreiben –